– Rede bei der Lesung am 11.03.04 im Museum für Ostasiatische Kunst
Jeder Schüler in der VR China muß sich mit Lu Xuns Schriften beschäftigen. Ich habe sie teilweise auswendig lernen müssen, aber ich verstand sie nicht. Mit seinen berühmten Figuren, dem Geisteskranken oder den Gaunern konnte ich nichts anfangen. Mich interessierten die wunderbaren Taoisten und Buddhisten aus den chinesischen Klassikern wie „Der Traum der roten Kammer“ oder „Die Reise in den Westen“.
Das Pekinger Massaker hat in mir einen Gegner der kommunistischen Machthaber hervorgerufen. Gleichzeitig begann ich auch, mich mit der chinesischen Kultur auseinanderzusetzen, die Lu Xun als menschenfressend abtut. Mit seinen antikonfuzianistischen und atheistischen Schriften hat Lu Xun einen großen Beitrag dazu geleistet, daß die Kommunisten unter der Führung von Mao die Macht in China ergriffen, weswegen er von Mao zum Heiligen des modernen Chinas ernannt wurde.
Leider besteht die kommunistische Diktatur nur aus Lügen, Gewalt und Terror, sei es in der Sowjetunion, in der DDR, oder in der VR China. Während die Weltöffentlichkeit zusehen mußte, wie die Panzer die friedlichen Studenten in Peking niederwalzten, behauptete die kommunistische Propaganda, daß die Getöteten und Verfolgten gewalttätige Verbrecher und von antichinesischen ausländischen Mächten gesteuert seien.
Dieser blutige Tag stellt einen Wendepunkt im Leben vieler Chinesen dar. Die Zahl der chinesischen Asylanten nimmt rapide zu. Der Nobelpreisträger Gao Xingjian in Paris gehört auch dazu. Ich trauerte um die chinesische Niederlage und um so mehr freute ich mich über den Zusammenbruch des Ostblocks.
Nun nähert sich der fünfzehnte Jahrestag dieses historischen Ereignisses. In den vergangenen Jahren habe ich mich nicht nur in die europäische, sondern auch in die chinesische Geschichte vertiefen können, so daß meine deutsche Lyrik immer chinesischer wirkt, wie der mich entdeckte Verleger Bruno Kehrein feststellte. Und ich habe gerade einen deutschen Paß beantragt, nachdem ich meinen Wunsch, in die Heimat zurückzukehren, aufgeben mußte. Ich bin mutig genug, die kommunistischen Lügen zu enthüllen, aber zu feige, um verfolgt zu werden wie die in China lebenden Landsleute.
Um so bewußter lernte ich Konfuzius, Laozi und Buddha Shakyamuni zu schätzen, deren Einfluß auf Chinesen als die drei Lehren im Westen bekannt sind. Während die westliche Kultur auf Christus zurückzuführen ist, basiert die chinesische Kultur auf diesen drei Heiligen. Im Vergleich zu den westlichen Sinologen bin ich kein Beobachter, sondern ein Praktizierender.
Die Lehre des Konfuzius bezieht sich auf das Diesseits, regelt das Verhalten und die Angelegenheiten in der Gesellschaft. Fast jeder Dynastie diente sie als Staatsethik oder Moralkodex. Die Beamtenprüfung beruhte auf den konfuzianistischen Schriften. Barmherzigkeit, Gerechtigkeit, Anstand, Weisheit und Ehrlichkeit sind ihre Prinzipien. Schon als Kind lernte man sie früher in Versen und Geschichten kennen.
Was man selbst nicht will, soll man auch anderen nicht antun, ist ein berühmter konfuzianistischer Spruch. Als Gegensatz dazu ein berühmter Spruch von Lu Xun: Hunde, die ins Wasser gefallen sind, muß man tüchtig schlagen! So behandelte Lu Xun seine Gegner. Es ist deshalb kein Wunder, daß in der VR China, wo er als Heiliger betrachtet wird, die Menschen seitdem bei den ununterbrochenen politischen Kampagnen brutal, teilweise zu Tode geschlagen werden, selbst wenn es der Staatspräsendent Liu Shaoqi war.
Während Konfuzius seine Schüler durch Worte insbesondere durch sein persönliches Vorbild belehrte, hinterließ Laozi, den Konfuzius hochverehrte, eine Anleitung zur eigenen Kultivierung auf einem taoistischen Weg, der in eine übersinnliche Welt führt.
Diese Anleitung ermöglicht Lesern mit verschiedenen Bewußtseinsebenen ein unterschiedliches Verständnis. Deswegen sind verschiedene Schulen entstanden. Für Taoisten ist sie wie die Bibel für Christen. Darunter ist auch der Taoismus, der sich als Religion verbreitet hat.
Das Merkmal der Taoisten sind die alchimistischen Praktiken und energetischen Übungen, mit denen das Leben verlängert wird. Da liegt auch der Ursprung der chinesischen Medizin sowie der Qigong- und Taijiübungen. Leider werden sie meistens ohne geistigen Zusammenhang verbreitet.
Die acht Unsterblichen sind die berühmtesten Taoisten in der chinesischen Geschichte. Über ihre Person und göttlichen Fähigkeiten exitieren genaue Aufzeichnungen. Manche erinnern mich an die Geschichten in der Bibel. Da mir die übersinnlichen Fähigkeiten vertraut sind, stellen sie für mich keine Legenden dar.
Buddha Shakyamuni, der ein Prinz im heutigen Indien war, begab sich auf die Suche nach der Erlösung, weil er das Leben auf der Erde als Leiden empfand, wie ich. Nachdem er durch Kultivierung zur Erleuchtung kam, begann er, seinen Weg zu verbreiten. Gebot, Meditation und Weisheit sind seine Prinzipien. Bevor er seine fleischliche Hülle abstreifte, was als Nirwana bezeichnet wird, belehrte er seine Jünger auch nur mündlich und lebte ihnen vor.
Nachdem der Meister die Erde verließ, sind im Laufe der 2500 Jahren allerlei Schriften und Schulen entstanden. Auf Shakyamuni ist also der Buddhismus als Religion zurückzuführen. Ein Buddhist muß sich hart kultivieren, um zur Erleuchtung zu kommen. Es gibt viele Buddhisten, die übersinnliche Fähigkeiten erlangt haben, aber zur Erleuchtung kam selten einer. Nur wenn ein Buddhist so erleuchtet ist wie Shakyamuni, ist er in der Lage, Mitmenschen zu erlösen.
Während sich die Taoisten meistens auf ihre wahre Kultivierung konzentrieren, sind die Buddhisten wie die Christen daran interessiert, ihre Lehre zu verbreiten, weil sich ihre Kultivierung durch Barmherzigkeit auszeichnet. Sie wünschen auch ihren Mitmenschen die Erlösung genau wie ich.
In unserem Leben oder in der chinesischen Kultur sind die drei Lehren bzw. ihre Praktizierenden eng verbunden. Die Geschichte von drei Lachenden vorm Tigerbach kann es verdeutlichen. Der eine ist der buddhistische Abt Hui Yuan, der zweite ist ein taoistischer Kultivierender Lu Xiujing, Der Dritte ist Tao Yuanming (365-427), der dafür berühmt ist, daß er sich lieber seiner Kultivierung in der Natur widmete als einer Beamtenlaufbahn. Er wollte nicht „für fünf Scheffel Reis am Tag den Rücken krumm machen“, sondern „Chrysanthemen am Ostzaun pflücken und gelassen nach dem Südberg schauen“. Selbst unter der kommunistischen Diktatur durften wir sein Werk „Der Pfirsichblütenquell“ in der Schule lernen. Es ging um das einmalige wunderbare Erlebnis eines Bauern an einem unzugänglichen Ort, wo alles idyllisch zugeht, wie im Paradies.
Dieses Prosawerk inspirierte mehrere Persönlichkeiten zu weiteren Dichtungen. Wang Weis(700-761) lyrische Adaption ist besonders gelungen, nicht zuletzt weil Wang Wei seine Lebenshaltung teilte. Wang Wei kultivierte sich zuweilen in der Natur, zuweilen in der Gesellschaft als hoher Beamter. Dabei unterhielt er dutzende von buddhistischen Mönchen in seinem Haus. Das bedeutet, er verkehrte mit Konfuzianern, Taoisten und Buddhisten. Seine Lyrik verriet seine Einsicht: Das Gold kann nichts an dem weißen Haar ändern. Um Altern und Erkrankung zu beheben muß man sich kultivieren. Während sich Tao Yuanming auf einem taoistischen Weg so hoch kultivierte, daß er genau wußte, wann er die Erde verließ und wie seine Familie darauf reagierte, erreichte Wang Wei mit seiner buddhistischen Kultivierung auch übersinnliche Fähigkeiten, so daß er feststellte: In den zahlreichen Vorleben war ich schon Dichter, im letzten Leben ein Maler. Diese Wesenheiten sind nicht zu verleugnen, lassen sich in diesem Leben wieder erkennen.
Mit diesem Text habe ich es versucht, den geistigen Boden meines Werks darzustellen und als Folgendes hören Sie die Beschreibung meines Wegs, der parallel zu den beiden chinesischen Dichtern steht.