Bevor mich der Karneval wieder aus der Nähe vom Kölner Dom vertrieb, brachte mir die Zeitschrift „Kunst und Kultur“ eine Nachricht aus Düsseldorf, die diese Vertreibung wettmachte, denn der Geist von Heinrich Heine winkt mir wieder zu.
Mit leichtem Gepäck, aber schweren Gedanken nahm ich fluchtartig einen Zug den Rhein entlang, der ruhig fließt wie in Heines „Lorelei“. Das deutsche Lied sang ich in China als Studentin voller Sehnsucht, während ich in der Schule „Die schlesischen Weber“ auf Chinesisch auswendig lernen musste. Dann promovierte ich mit einer Dissertation über das Frauenbild von Heine und fünf weiteren Dichtern an der deutschen Universität seines Namens. In Heines Geburtshaus hatte ich meine erste Dichterlesung. In Heines Elternhaus in Lüneburg brachte ich mein „Buch der Rätsel“ zu Papier. Nun habe ich gerade einen Zugang zu Religionen gefunden, schon ruft sein Geist mich zu einem schriftlichen Zeugnis auf.
Mir ist, als ob der freigeistige Europäer des 19. Jahrhunderts mich ständig auf meinem Weg begleitet, auch wenn ich einen Gegenpol von ihm darzustellen scheine. So machte ich aus seinem Gedicht „Der Asra“ das Titelgedicht „Die Sultanstochter“ meines ersten Gedichtsbandes „Täglich reitet der Herzog aus“ , welches mehr als nur eine Hommage an Heine sein sollte, während mein dritter Gedichtsband „Affenkönig“ unter dem Motto „Andere Zeiten, andere Vögel! Andere Vögel, andere Lieder!“ seines „Atta Troll“ steht.
Ich weiß nicht, wie der deutsche Dichter, den sogar Klaviergeklimper zum Umzug bewog und Papageigeschrei aus der Fassung brachte, an meiner Stelle auf den Kölner Karneval reagiert hätte. Ich weiß nur, dass Heine unter der Unfreiheit in seinem Vaterland so litt wie ich jetzt leide.
Es ist das fünfzehnte Jahr, das ich im „Land der Dichter und Denker“ verbringe. Wie Heine lebe ich im Exil, anders als Heine schreibe ich nicht aus Vaterlandsliebe, mir ist die Nächstenliebe wichtiger. Mein Heimweh richtet sich auch nicht nach einem irdischen Ort.
In der von Goethe kritisierten griechischen Weisheit „Erkenne dich selbst!“ ist die chinesische Lebensphilosophie widergespiegelt, die mich durchdringt. Die Freiheit, die unter einer kommunistischen Diktatur nicht möglich ist, schöpfe ich am Rhein aus, um mein Bewusstsein zu erhöhen und den Sinn des menschlichen Daseins zu ergründen.
In der chinesischen Kultur bleibt mein linker Fuß stehen, während der rechte Fuß die westliche Kultur betritt.
Zwischen verschiedenen Blüten und Früchten schwirrte ich wie eine Biene in der abendländischen Landschaft. Von romantischen Dichtern bis hin zu den modernen Künstlern, von Luthers Deutsch zu Dantes Italienisch, von der Metaphysik bis zur Naturheilkunde, von Heideggers Bodenständigkeit bis zu Nietzsches Wahnsinn, von Biermanns Leben an der Mauer über Thomas Manns Tod in Venedig bis zu Bachmanns Geburt am Wörthersee … Ich las, reiste und reflektierte.
Immer wieder wurde ich mit dem „Buch der Bücher“, der Bibel konfrontiert, aber nicht nur das schauerliche Kruzifix und die fremden Namen in der Bibel stellten Blockaden dar, so dass die Lektüre oberflächlich blieb und mich lediglich an die bekannten chinesischen Dichtungen purer Weisheiten erinnerte. Mir schien, als ob ein Berg mich von der biblischen Welt trennte. Ich stand draußen vor der Tür, auch wenn ich mit Andacht zahlreiche Kirchen besichtigt hatte.
Glücklicherweise gelang es mir, die taoistische Heilige Schrift „Dao De Jing“ in meiner Muttersprache zu entschlüsseln.
So stellte ich meine Einsicht in den Dao, die taoistische Weltanschauung und Lebensphilosophie, in meinem zweiten Gedichtsband „Lotosfüße“ dar, nicht zuletzt um sie dem scheinbaren Fortschritt der Moderne entgegenzusetzen, während ich auf Chinesisch von meinem Leben in Freiheit berichtete, um die kommunistische Diktatur bloßzustellen.
Je mehr westliche Bücher ich zu mir nahm, desto leichter und zerbrechlicher wurde mein chinesischer Körper. Als mir keine westliche Methode half, suchte ich nach einem chinesischen Ausweg.
Anfang 2002 weihte mich ein chinesisches Ehepaar in die Lehre von Falun Gong ein, die ich bis dahin wegen der brutalen Verfolgung in China nur als Massenbewegung erfahren konnte. Nachdem ich aus kantischer praktischer Vernunft oder auch wegen Jaspers‘ Existenzerhellung den geheimnisvollen Weg von Falun Gong einschlug, geschah es, das Wunder meines Lebens.
Meine Affengestalt verschwand. Ich schwelge in Energie. Die Bewegung der Atome in meinem Körper ist mir bewusst. Ein drittes Auge, das Himmelsauge, öffnet sich. Es ist wahr, was auch der als Mystiker bekannte Meister Eckehart lehrte: Man könne im Schließen der Augen, in einem sittlichen und kontemplativen Lebenswandel die Vereinigung mit Gott erleben.
Mit neuem Bewusstsein erkannte ich die Wahrheit in der chinesischen Dichtung, die mich schon immer fasziniert hatte. Bei dieser Erkenntnis leuchtete mir endlich der biblische Psalm „Die Furcht des HERRN ist der Weisheit Anfang“ ein. Der biblische Spruch „Verlass dich auf den HERRN von ganzem Herzen, und verlass dich nicht auf deinen Verstand“ fiel mir auch nicht mehr schwer, denn das Bewusstsein von einem übersinnlichen Wesen – Falun (Gebotsrad) – in meinem Körper lässt sich nicht mit menschlichem Verstand erklären.
Mein durch Schmerzen im Lotossitz gewonnener Glaube an Gott versetzte den Berg zwischen den Religionen und mir. Seitdem kommen mir weder die Bibel noch der Koran dunkel vor, im Gegenteil, mit ihrer Hilfe kann ich das Phänomen um Falun Gong beleuchten, welches die westlichen Medien kaum durchschauen können.
Mein Erkenntnisumweg soll verdeutlichen, dass ein Abendländer den Islam sofort verstehen würde, wenn er seine eigene göttliche Wurzel erkennt, zumal das Judentum, das Christentum und der Islam der gleichen Quelle entspringen (auch der Begründer des Islam, Muhammad, war ja davon überzeugt, dass seine Botschaft mit denen von Moses und Jesus übereinstimme). Ansonsten bleibt die Erkenntnis nur an der Oberfläche, beschäftigt sich mit verschiedenen Symptomen und Phantomen, so wie ich in den vergangenen vierzehn Jahren trotz meiner Bemühung keinen Zugang zum Christentum fand.
Gleich ob die Massenmörder vom 11.9. von westlichen Medien als Islamisten oder islamische Fundamentalisten bezeichnet werden, haben sie in meinen Augen noch weniger mit dem Islam zu tun, wie betrunkene Karnevalisten mit dem Christentum.
Der unsichtbare Grund für dieses Ereignis liegt nicht im Konflikt zwischen islamischem und christlichem Glauben, sondern im Unglauben der heutigen Welt, in the american way of life.
Der Anschlag schien mir einerseits wie die Zerstörung des Turms von Babel zu sein. Bereits zu Anfang der Achtziger Jahre wurde dieses Ereignis in meiner Heimat prophezeit. Die Landsmännin, die mir davon erzählte, musste wegen der Falun Gong-Verfolgung durch die atheistischen Machthaber nach Deutschland emigrieren.
Hellseher gibt es nicht nur in China. Eine Auslegung der Prophezeiung des französischen Sehers Nostradamus sagt beispielsweise einen Absturz des amerikanischen Shuttles Columbia in diesem Jahr voraus. Kant gelang es nicht, die mysteriösen Fähigkeiten des berühmten Hellsehers seiner Zeit, Graf Swedenborg aus Schweden, zu ergründen, und mir war es möglich, einen Generalschlüssel zu all diesen Fragen in der Lehre von Falun Gong – „Zhuan Falun“ zu finden. Gleichzeitig stellte ich fest, dass in den Aufzeichnungen des amerikanischen Sehers Edgar Cayce über China Folgendes steht: „Fürwahr, dort wird eines Tages die Wiege des christlichen Glaubens stehen, wie er im Leben der Menschen anzuwenden ist.“ Aus meiner Sicht trifft diese Aussage auf die Bewegung Falun Gong zu, deren Gebot „Wahrhaftigkeit, Barmherzigkeit und Duldsamkeit“ lautet. Diese in der fünftausend Jahre alten chinesischen Kultur einmalige Massenbewegung hat sich innerhalb von nur zehn Jahren weltweit verbreitet, trotz einer Verfolgung, die mit der Christenverfolgung der römischen Machthaber vergleichbar ist. Falun Gong erhellt nicht nur den Kern der taoistischen und buddhistischen Lehren, sondern erweckt zum ersten Mal das Gottesbewusstsein in der chinesischen Bevölkerung. Es waren nicht 500, sondern 50000 Leute, die geheilt und beflügelt wurden, nachdem sie Vorträge von Meister Li gehört hatten. Zwei Jahre lang machte er seine Lehre in China bekannt und zog sich danach zurück. Was ich feststellen konnte ist, dass alle diejenigen, die sich auf den Weg von Falun Gong – eine Lehre und fünf Körperübungen – gemacht haben, ein Lied von „Wundern und Zeichen“ singen können.
Andererseits bedeutet für mich auch ein schrecklicher Tod nicht gleichzeitig ein schreckliches Ende. Die Wiedergeburt, an die auch Schopenhauer glaubte, ist eine alte Weisheit, die heute in China wie auch in Amerika wissenschaftlich belegt wird. Dieses im Osten als Reinkarnation bekannte Phänomen finde ich in der westlichen Kultur unter dem Ausdruck „unsterbliche Seele“ wieder. Zu Heines Zeit war diese Erkenntnis unter „Seelenwanderung“ genauso bekannt, wie die arabischen Märchen aus 1001 Nacht. Als Dichtung wird sie in Heines „Ideen. Das Buch Le Grand“ phantastisch zum Ausdruck gebracht, während ich sie im Leben als Wahrheit erfahren habe.
Der Mensch denkt und Gott lenkt – egal wie der Mensch Gott benennt und betrachtet, egal ob der Mensch seinen Schöpfer wahrnimmt oder nicht. Tatsache ist, dass die Heiligen Schriften, die Prophezeiungen, die archäologischen Funde usw. alle der Menschheit von einer göttlichen Macht künden.
Im Angesicht der heutigen Weltlage und der Tatsache, dass sich 100 Millionen Menschen weltweit nach „Wahrhaftigkeit, Barmherzigkeit und Duldsamkeit“ richten, sobald sie den Weg von Falun Gong kennengelernt haben, aus welchem Grund auch immer, und von welchem Glauben sie auch herkommen, fühle ich mich in meiner Feststellung bestätigt, dass Gott unterwegs ist.
Die Christen, Juden und Muslime warten schließlich schon längst auf das Jüngste Gericht, auf den Messias, während die Buddhisten ihren Zukunftsbuddha erwarten! Hat sich Muhammad nicht als „Siegel der Propheten“, „letzten Gesandten Gottes an die Menschheit“ verstanden? 1400 Jahre sind seitdem vergangen. Aber chinesische Hellseher sagen, tausend Jahre unter den Menschen gleichen einem einzigen Tag in der göttlichen Welt, wovon auch die Bibel spricht.
Heines Geist hat nun allerdings mit meinen Augen gesehen, dass auf Erden das Himmelreich nicht zu errichten ist. Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit lassen sich nicht verwirklichen, wenn der Mensch seinen Schöpfer verleugnet. Der das Paradies auf Erden versprechende Kommunismus hat sich als ein wahres „Gespenst“ erwiesen. Es hat die halbe Welt ins Elend gestürzt, und bringt jetzt in China seine letzte Kraft auf, unterstützt von dem westlichen Kapital, um gegen das Göttliche zu kämpfen, was mich an die Offenbarung des Johannes erinnert.
Dank der Freiheit, die mir Heines Vaterland bietet, konnte ich in Ruhe den entscheidenden Schritt auf meinem Erkenntnisweg vollziehen. Dabei habe ich mich nicht nur von Gott überzeugt, sondern auch davon, dass die göttliche Macht sich nicht in Gewalt, sondern in Gewaltlosigkeit zeigt. Jeder sollte die Freiheit haben, sich selbst zu besinnen und zu bekehren.
Um Heine nachzueifern, der sich im Jahr 1851 öffentlich zu Gott bekannte, und in Gedanken an die Verantwortung des Dichters, habe ich mit östlichen und westlichen Einsichten einen chinesischen Weg in deutscher Sprache dargestellt, in der Hoffnung, dass er dem deutschen Verständnis des gemeinsamen Kulturerbes förderlich sein könnte, was meine größte Gegenleistung an Deutschland wäre.
Anhang
1. „Dao“ bedeutet wortwörtlich der Weg, „De“ die Tugend, „Jing“ die immer wieder zu lesende Schrift.Diese Heilige Schrift aus 5000 chinesischen Schriftzeichen ist in der chinesischen Kultur so einflussreich wie etwa die Bibel im Westen. Daraus ist auch eine Religion entstanden, die im Westen als Taoismus bekannt ist. Hermann Hesse weiß sie zu schätzen und schrieb: Alle Spekulationen abstrakten Denkens, alle Spiele der Dichtung, alles Leid über die Hinfälligkeit unsres Daseins, aller Trost und aller Humor ist im Tao-Te-King schon zum Ausdruck gekommen.
2. Die chinesische Kultur umfaßt drei Kerne. Sie sind konfuzianisch, taoistisch und buddhistisch. Der erste fungiert als Staatsethik und regelt die Gesellschaft. Die beiden anderen stellen zwei religiöse Richtungen dar, welche die Menschen, die den weltlichen Dingen entsagt haben, zu ihrem göttlichen Ursprung zurückführen. Die buddhistische Richtung legt einen besonderen Wert auf die Barmherzigkeit, deshalb dürfen die Buddhisten weder Tiere töten noch ihr Fleisch essen. Die Wege in der taoistischen Richtung legen ihren Schwerpunkt auf die Wahrhaftigkeit.
Der kommunistischen Diktatur ist es nicht gelungen, diese drei Kerne der chinesischen Kultur zu zerstören, obwohl sie dies mit aller Gewalt versucht hat.
3. Jess Stearn, Der schlafende Prophet (1877-1945)- Edgar Cayces Prophezeiungen in Trance, S.117, Henrich Hugendubel Verlag, Kreuzlingen/München 1999
4. Unter den vielen Veröffentlichungen habe ich zwei Forschungsberichte ausgesucht.
Gina Cerminara, Many Mansions (Erregende Zeugniss von Karma und Wiedergeburt),New York: William Sloane Associates,1950
Ian Stephenson, Twenty Cases Suggestive of Reincarnation, New York: American Society for Psychical Research, 1966