Brief über Herta Müller und Ai Weiwei

Köln, den 1. Juni 2011

ich bin gutgläubig und neige dazu, mein Gegenüber zu überschätzen, aber ich gehe sofort auf Distanz, wenn ich merke, dass der allgemeine Anstand missachtet wird. Deswegen kann ich nach meinem Studium nicht mehr in die Heimat zurückkehren, obwohl ich es zweimal versucht habe.

Die chinesische Kritik an Liu Xiaobo, über die ich aus Wahrheitsliebe auf Deutsch berichtet habe, ist auf seine eigenen Taten, Worte und die Insider-Informationen zurückzuführen. „Verleumdungen“ sind Lügen; „Denunziation“ richtet sich an die Machthaber; „hemmungsloser Rufmord“ ist die Methode, die ein Regime benutzt, um seine Gegner zu erledigen. Mit diesen Schlagworten hat Herta Müller die Kritiker von Liu Xiaobo beschimpft. Dabei habe ich mich an sie gewandt, nur weil sie auf der Frankfurter Buchmesse extra uns traf, um ihre Unterstützung zu demonstrieren. Kann sie Liu Xiaobo besser beurteilen als die Exilchinesen wie ich, die seit 1989 den chinesischen Widerstand gegen die KP-Diktatur unterstützen? Ihre Beschimpfung auf „Exilchinesen“ gibt mehr Auskunft über ihre Eigenschaft, als die beschimpften Exilchinesen, zumal ich persönlich als Übermittlerin zu ihrer öffentlichen Verunglimpfung beigetragen habe.

Die kommunistischen Machthaber haben die chinesische Emigration in der Tat infiltriert, wie Ceaușescu die rumänische Emigration. Am 26. Mai 2011 fand in Celle eine Anklage gegen John Zhou statt. Der Spitzel der KP Chinas wird von niemandem anders als von Otto Schily vor dem Gericht vertreten. Dieser in Deutschland promovierte Mediziner hat genau wie ich 1988 China verlassen. Er weiß als Arzt die effektvolle Heilwirkung von Falun Gong zu schätzen, aber er glaubt nicht an die Prinzipien von Falun Gong „Wahrhaftigkeit, Barmherzigkeit und Duldsamkeit“. Als ich 2002 anfing, Falun Gong zu praktizieren, habe ich ihn kennengelernt. Aber 2005 ließ er sich für die Spionage der KP Chinas anheuern. Auf diese Weise ist das chinesische Programm der Deutschen Welle spätestens seit 1987 infiltriert, das Herta Müllers Einsatz für Liu Xiaobo sofort ins Chinesisch übersetzt hat.

Die Spekulation von Herta Müller, „vielleicht ist es aber auch der eigene Irrsinn von verstörten Emigranten, die im fernen Exil Revolution auf dem Papier betreiben, mit Worten infam randalieren…“ entspricht in keiner Weise der Tatsache, so dass ich der Antwort darauf von 12 Exilchinesen zustimmen muss, die sie als Opfer der Kommunisten in Rumänien betrachten. Ihr Erlebnis in Rumänien hat sie so geschädigt, dass sie nicht mehr in der Lage ist, sich anstandsmäßig zu verhalten und gerecht zu beurteilen. Gott sei Dank habe ich in Rotchina wie in Deutschland meinen Wissenstand und Moralstand erhöhen können.

Wie meine Gedichte im „Himmelsauge“ zeigen, liegt mein persönliches Interesse an der spirituellen Ebene. Ich wäre eher in der Lage, die Apokalypse 2012 zu erklären. Aber ich habe nach meiner Promotion die Aufenthaltserlaubnis durch meinen öffentlichen Auftritt als Vermittlerin der östlichen und westlichen Kultur erhalten. So fühle ich mich verpflichtet, auch zum authentischen Chinabild in den deutschen Medien beizutragen. Ich möchte gerne die Opfer der KP Chinas moralisch unterstützen.

Ai Weiwei ist der Berühmteste unter den Chinesen, die ich verteidige. 2007 wurde ich auf ihn aufmerksam gemacht. Seitdem fühle ich mich von ihm bestätigt, aber ich habe mich nicht so intensiv mit ihm beschäftigt wie nach seiner Verhaftung. Ich betrachte ihn als meinesgleichen, weil bei ihm Wort und Tat auch eins sind. Sein Wissen und seine Moral haben mich davon überzeugt, dass er ein großartiger Künstler ist.

Aus diesem Grund kann der Artikel „Der nackte Bürger Ai Weiwei“ von Bei Ling bei mir nur Ekel hervorrufen. Meine Befürchtung vor seiner negativen Wirkung hat sich inzwischen bestätigt. Wolfgang Kubin, dem gegenüber ich Bei Ling öffentlich verteidigte, hat diesmal nicht auf ihn geschimpft, sondern bezogen und schrieb für „http://www.theeuropean.de/wolfgang-kubin/6808-steuerhinterziehung-ai-weiwei, „dass unser umstrittener Künstler auch früher schon mit dem Gesetz in Konflikt geraten war. Er lebte während der 90er-Jahre illegal in New York, betätigte sich dort als Hehler, war Exhibitionist und wahrscheinlich auch Spanner… “

Dabei ist der genannte Artikel auf die Kurzsichtigkeit und Anzüglichkeit des Verfassers zurückzuführen, entspricht weder der Sachlage noch der Persönlichkeit von Ai Weiwei, wie sein eigenes Werk und seine echten Freunde darstellen. Früher habe ich Bei Ling mit ähnlichen Worten wie Sie verteidigt, bis ich seine Äußerungen in den deutschen Medien zu lesen bekam. Auch an der Überschrift „Süchtig nach Bedrohung“, die „http://www.tagesanzeiger.ch/ „seinem Artikel beim Nachdruck gab, lässt sich seine negative Wirkung erkennen. Vor solch einem Freund werde ich jeden warnen, wie Wang Rongfen und andere mich gewarnt haben.

Ein Künstler oder ein Dichter muss aufrichtig, verantwortlich und weitsichtig sein. Anders als Ai Weiwei und ich tingelt Bei Ling seit 1989 als „Exildichter“ und hat auch deswegen letztes Jahr ein Stipendium von der Böll-Stiftung erhalten, obwohl er mittlerweile die USA-Staatsangehörigkeit hat.

Ich unterstütze aufrichtige widerstandsfähige Chinesen im Land wie im Exil, aber ich akzeptiere keinen unmoralischen Opportunisten. Aus diesem Grund stimme ich den Kritikern des Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo zu. Ai Weiwei gehört auch zu seinen Kritikern. Das ist nicht nur an einem verächtlichen Spitznamen, den er Liu gab, zu erkennen. Die Worte und Taten der beiden weisen einen Wesensunterschied auf. Andernfalls habe ich keinen Grund, den einen zu respektieren und den anderen zu verachten.

Ai Weiwei ist so alt wie mein ältester Bruder, der 9 Jahre früher zur Welt kam als ich. Am 18. Mai hat Ai seinen 54sten Geburtstag verhaftet zubringen müssen. Am 16. Mai vor 45 Jahren hat Mao Zedong die „Kulturrevolution“ in meinem Geburtsjahr ausgerufen, der etwa 30 Millionen Chinesen zum Opfer fielen. Diesen zehnjährigen Terror hat Ai erleben müssen. Als er 10 Jahre alt war, wurde er Zuschauer gewaltiger Auseinandersetzungen und fand einmal unter den Todesopfern einen Schulkameraden.

Ich habe Glück, all das nicht miterlebt zu haben. Meine Erinnerung an die Volksrepublik China, in der ich 22 Jahre lang lebte, ist sogar schön. Aber Ai hatte in einem Brief vom Jahr 1978 an seinen Halbbruder geschrieben, „in unseren solch jungen Jahren waren all diese Verbrechen zu erdulden. Wenn wir wertvolle Dinge aus diesen 20 Jahren bekommen haben, dann sind sie diese Erinnerungen…“ Als sein Vater wieder nach Peking zurückkehren durfte, war Ai schon 18 Jahre alt und lernte Peking mit einem Fahrrad kennen. Um diese Zeit malte er intensiv, um nicht aufs Land geschickt zu werden, wie es bei anderen Schulabsolventen seiner Generation der Fall war. 1978 durfte sich Ai zu den Glückspilzen zählen, die wieder in Rotchina studieren durften.

1979 beteiligte sich Ai an den beiden „Kunstausstellungen der Sterne“, die zum ersten Mal öffentlich mit individuellen Kunstwerken gegen die kommunistische Diktatur rebellierten. Mit anderen Worten, die Kunst einschliesslich Literatur ist ein Mittel für die Chinesen, um sich aus der kommunistischen Ideologie zu befreien.

1981 gab Ai das Studium an der Filmhochschule in Peking auf und folgte seiner damaligen Freundin in die USA.
Als ich 1983 Deutsch an einer Fremdsprachenhochschule zu studieren begann, zog er bereits nach New York um. 1985 durfte Yan Li auch zum Studium nach New York einreisen, der wie Ai auch zur Künstlergruppe Sterne gehörte. Nach der Verhaftung von Ai Weiwei hat Yan Li seine Erinnerung „Über Ai Weiwei“ veröffentlicht, in der steht, im August ist „das Foto von zwei nackten Körpern vor den Zwillingstürmen spontan entstanden. Das ist auch die früheste Kunstaktion. Dieses leidenschaftliche Wagnis ist eigentlich die Befreiung einer langjährigen Unterdrückung. In der Tat ist es weiter explodiert.“ 1986 fand die erste „Avant-Garde Chinese Art“ Ausstellung der Künstlergruppe Sterne in New York statt. Das war die erste Kunstausstellung der unabhängigen Chinesen in den USA, die in der VR China aufgewachsen sind.

1987 hat Yan Li eine Literatur-Zeitschrift „Yi Xing“ gegründet. Ai Weiwei hat ihn mit einem eigenen Gedicht, einigen Zeichnungen und zwei von ihm übersetzten Gedichten von Allen Ginsberg unterstützt. Ginsberg hat Anfang der Achtziger Rotchina besucht und den Vater von Ai Weiwei kennengelernt. Nach seiner Heimkehr hat er Kontakt zu Ai Weiwei aufgenommen.

Jörg Immendorff hat auch nach seiner ersten Ausstellung in Rotchina mich kontaktiert. Ich kann es mir vorstellen, dass Ai Weiwei nur das Gute von Ginsberg gelernt hat, wie ich von Immendorff. Denn im Dezember 1987 hat Ai Weiwei in „Yi Xing“ eine Kurzprosa veröffentlicht, die 15 Gedankensprüche von ihm enthält. Der eine lautet, „Wenn jemand eine Halle für moderne Kunst betritt und kein Schamgefühl empfindet, dann sind entweder seine Sinnesorgane unvollständig, oder er hat keine Moral.“ Der andere lautet, “ Kunst, die nach Ruhm und Reichtum strebt, ist keine Kunst; Die Hure ist keine Frau, ihre Handlung ist nur ähnlich wie die einer Frau.“

Ai Weiwei hat sich in der Freiheit entfaltet und die USA vom Grund auf kennengelernt, um in Rotchina als Freigeist zu wirken.

Liu Xiaobo aber, der genau wie Ai Weiwei 1989 in New York war, hatte bereits die Fähigkeit verloren, das Leben in der Freiheit kennenzulernen. Statt in New York Fuß zu fassen und eine Fremdsprache zu lernen, wie Ai, zog er es vor, als Prominenz in Rotchina zu gelten. Anders als Ai hat Liu in Rotchina nicht nur das Studium unter der kommunistischen Führung beendet, sondern noch freiwillig in der marxistischen Ästhetik promoviert. Mit anderen Worten hat Liu nach Aufstieg in dem Unrechtssystem getrachtet, während Ai nach Freiheit und Menschenwürde strebt.

Das Tiananmen-Massaker 1989 ist das Schockerlebnis meines Lebens, und ich habe in den vergangenen Jahren viel darüber gelesen und auch geschrieben. Die Biographie von Liu Xiaobo „Monolog eines Überlebenden der Endzeit“ (1992 ) habe ich in den Neunzigern gelesen. Nach dem Massaker wurde Liu wie viele Beteiligte verhaftet. Aber er war der Einzige, der die Propaganda der KP Chinas mit einem über 40-minütigen Interview im kommunistischen Fernsehen bestätigte. Deshalb wurde er weder gefoltert noch strafrechtlich verfolgt. Zu dieser verräterischen Tat kommentierte er in seiner Biographie, „Dein Vater hat wieder gewonnen“! Ihm geht es also weder um die Menschenwürde noch um die Gerechtigkeit. Mit seinen eigenen Worten: „Ich verachte Menschenmassen, betrachte die Gesellschaft als Mob, verehre die persönliche Kreativität des Genies, mein Lebensziel ist zu sehen, ob ein einsames Genie mit Kreativität stärker ist als das gemeine Volk“. Die VR China ist ein Schurkenstaat und hat Liu Xiaobo auch zu einem Schurken verbildet, leider, während Ai Weiwei hin und wieder so tut, als ob er auch ein Schurke wäre.

Ich betrachte es als meine Pflicht, die deutschen Interessenten über die ununterbrochene Kritik an Liu seit 1989 zu informieren, weil die deutschen Sinologen es nicht getan haben, aus welchem Grund auch immer. Herta Müller aber hat in der FAZ einen ambitionierten Kriecher zu einem „Freiheitskämpfer“ stilisiert, obwohl ich sie bewußt über die Kritik an Liu informiert habe.

Nach meinem zweiten Heimkehrversuch 2002 war ich erst so weit, den Preis in Kauf zu nehmen, China nicht mehr betreten zu dürfen, solange die KP Chinas an der Macht ist. Deshalb kann ich all die von den kommunistischen Machthabern verbotenen Themen behandeln, über die auch Ai Weiwei schweigen musste. Mir ist unwichtig, was ich in der menschlichen Welt erreiche; wichtig ist, dass ich mit gutem Wissen und Gewissen das tue, was ich tun kann.

Ich genieße meine Freiheit in Deutschland und möchte den offensichtlichen und getarnten Kollaborateuren der kommunistischen Machthaber entgegenwirken. Denn ich möchte Chinesen wie Ai Weiwei unterstützen, die sich weder einschüchtern noch kaufen lassen. Sie stellen einen Gegenpol zu Liu Xiaobo dar, der sein Rückgrat seit 1989 vermissen lässt.

Hoffentlich habe ich meine chinesischen Gedanken so klar auf Deutsch zum Ausdruck gebracht, dass Sie mich verstehen. Jedenfalls stehe ich Ihnen gerne Rede und Antwort.