Ein Offener Brief

Ich weiß nicht, wie viele Exilchinesen in Deutschland leben. Als ich 1988 zum Studium nach Deutschland kam, wußte ich nicht, daß ich jetzt ebenfalls eine Exilchinesin werden würde, weil ich durch das Pekinger Massaker von 1989 gegen das Regime eingestellt bin und daher nicht mehr als Schriftstellerin in China arbeiten kann.

Ich weiß aber, daß es in Indien 80,000 Exiltibeter gibt und sich die Menschenrechtslage in China nach dem genannten Massaker weiter verschlechtert hat, während dort auf Kosten der armen Chinesen und mit Hilfe des reichen Westens ein „Wirtschaftswunder“ geschaffen wurde. Gerhard Schröder wollte sogar das Waffenembargo, welches nach dem Massaker erhoben wurde, rückgängig machen, weil er wohl die deutsche Industrie an diesem Wunder teilhaben lassen wollte. Er vergaß dabei aber, daß er sich um die Freundschaft mit einem Regime bemühte, das insgesamt schon etwa 80 Mio Chinesen und Tibeter umgebracht hat.

Zehn Jahre nach dem Pekinger Massaker begann der Massenmord an den Praktizierenden der Falun-Gong, einer buddhistischen Meditationsbewegung. Als ich 2002 von dieser „kommunistischen Judenverfolgung“ in China erfuhr, habe ich Briefe an zahlreiche Politiker und bekannte Persönlichkeiten geschrieben, u.a. an Gerhard Schröder, Wolfgang Thierse und Angela Merkel, um auf dieses Verbrechen hinzuweisen und die hiesige Öffentlichkeit davor zu warnen, es einfach hinzunehmen oder indirekt zu unterstützen.

Ich schreibe diesen offenen Brief, weil ich nicht weiß, was ich als Exilschriftstellerin sonst noch gegen solche Verfolgungen und Massenmorde in meiner Heimat tun kann.

Ich weiß aber, daß der Menschenrechtsanwalt Gao Zhisheng in Peking am 4. Februar 2006 mit einem Hungerstreik begann, nachdem er die kommunistische Führung in drei offenen Briefen dazu aufgefordert hatte, mit der Falun-Gong-Verfolgung aufzuhören, und daraufhin selbst verfolgt wurde. Am 6. März haben mindestens zehntausend Exilchinesen auf der ganzen Welt ihn mit einem eigenen Hungerstreik unterstützt.

Angesichts der Tatsache, daß in China mißliebigen Menschen zwangsweise Organe entnommen werden, um damit zu handeln, und die Leichname dann eingeäschert werden, in Gedenken an meine Schriftstellerkollegen, die in Arbeitslagern Produkte herstellen müssen, die auf dem deutschen Markt preiswert angeboten werden, möchte ich am 22. März, meinem 40sten Geburtstag, in Hungerstreik treten, um mein Gewissen zu beruhigen und um die Medien und die Bewohner meines Gastlandes darum zu bitten, die Wahrheit über das menschenrechtswidrige Geschehen in China besser bekannt zu machen bzw. zur Kenntnis zu nehmen.

21. März 2006

Xu Pei